Wir haben Dein Gehirn als Geisel

Wie kommt man auf einen solch merkwürdigen (im doppelten Wortsinn) Namen für einen Blog? Tja, der Ursprung liegt in einer kleinen Kurzgeschichte, die noch aus meiner Studienzeit stammt – hier einmal für Euch zum Nachlesen:


Wir haben Dein Gehirn als Geisel!

Es klopft. Aha, regnet mal wieder. Ich öffne meine Augen und blicke in große, goldene Augen, die mich anstarren. „Jaja, ich steh ja schon auf, Du hast Hunger, ich weiß.“ Brrrrrrrrrmau. Mach hinne! Erst mal Kaffee. Wach werden.

Schlurfend mit meinem Kaffee in der Hand wandere ich ins Badezimmer. Duschen ergänzt den Kaffee. Warm werden.

Blick in den beschlagenen Spiegel. Die Nacht war echt zu kurz. Schlafmangel kaschieren. Das war aber ein wilde Party, liebe Haare, wäre nett, wenn ihr mich auch mal einladen würdet… Könntest ihr euch jetzt bitte meinem Willen beugen? – Nö… wir haben Dein Gehirn als Geisel! Auch gut, Zopf. Bus fährt gleich und Pünktlichkeit ist eine Tugend. Fertig werden.

Nochmal nachsehen, ob alle Fenster geschlossen sind – und los. Es regnet immer noch, aber da kommt der Bus ja endlich. Fast Pünktlich. Schön. Warten auf die Straßenbahn. Eine freundliche Frauenstimme krächzt mir kaum verständlich entgegen: „Aufgrund … …örung ko… es … …ätung… auf … Li… ach…n. Wir … nken … Verständnis.“ – Nö. Heute habe ich dafür kein Verständnis, denn IHR habt mein Gehirn nicht als Geisel! Es ist kalt. Ein Spaziergang den Bahnsteig auf und ab. Warm werden.

Gerade noch zur rechten Zeit im Seminar angekommen. Fontane – wessen Geisel wohl sein Gehirn war? Später Kant – der wollte wohl den Forderungen der Geiselnehmer nicht nachkommen. All die anderen Denker, Philosophen, Schriftsteller… Sammlungen von unmenschlichen Massen an Wissen – alles im rechten Maß bitte (oder doch lieber die richtige Maß [maz] finden?). Dozentengespräche, Prüfungsamt… „Die Studienordnung schreibt vor… bla… setzt voraus…, dass dieses und jenes gewusst wird.“ Ach ja, ich weiß schon: ihr habt mein Gehirn als Geisel. Examen steht an. Fertig werden.

Es hat aufgehört zu regnen, immerhin etwas, dafür hat die Nacht die Sonne verschluckt. Düsterer Tag – etwas Licht wäre gut, Vitamin D, Endorphinproduktion – toll, sogar das Wetter hat mein Gehirn als Geisel. Wieder zuhause. brrrrrmau… miau… mau… „Ja, ihr eh, ich weiß, wie sonst könntet ihr mich durch bloßes Anstarren wecken.“ Kochen und Essen. Satt werden.

Fernseher läuft schon. „Ich wohn hier auch noch.“ Weiß ich, merk ich täglich. Niveaulose Darstellung talentfreier Individuen zur allgemeinen Belustigung der Masse ruft eher das Gefühl der Fremdscham hervor. Ne, ihr habt’s nicht, immerhin etwas. Müde werden.

Zeit fürs Kuscheln – Hallo Kissen, ich komme! Abstecher ins Bad, abschminken, Zähne putzen, macht doch alle was ihr wollt. Eine Runde „Denker“ zum Einschlafen noch lesen für morgen. Vorbereitet sein.

Einschlafen oder vom Schlaf überwältigt werden. Träumen. Selbst die Nacht hat ihre Geisel. Ins dunkle Traumland entführt werden.

 

  1. Dezember 2011